Familienfreundlichkeit als Wirtschaftsfaktor: Der Aachener Familienservice

Foto: Wilhelmine Wulff_All Silhouettes/ pixelio.de
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Fachkräftemangel und –sicherung sind Schlagworte, die die Wirtschaft beunruhigen. Viele Unternehmen versuchen nun, ihre Fachkräfte an sich zu binden, etwa indem sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen. Mittlerweile erkennen auch die Kommunen, dass die regionale Wirtschaft dabei unterstützt werden muss – und dass diese familienfreundliche Idee Arbeitgebern und –nehmern gleichermaßen willkommen ist.

Nicole Kuhn ist ziemlich gefragt. Vor allem als Vermittlerin zwischen interessierten Unternehmen und Spezialisten rund um die Themen Arbeitszeit, Familie und Mitarbeiter: Kuhn leitet den Aachener Familienservice. „Ein Unternehmen hat nichts von hoher Fluktuation im Personalbereich, gerade wenn es um den wissenschaftlichen Bereich geht“, weiß Kuhn. „Wir möchten dazu beitragen, die Fachkräftesicherung zu gewährleisten, indem wir die Unternehmen attraktiver für Familien machen.“ Kinder und Eltern, Betreuung und auch Pflege – „das Gehalt oder der Dienstwagen“, weiß Kuhn, „haben heute vielfach nicht mehr oberste Priorität.

„Fachkräfte sind rar und gesucht und für ein Unternehmen im Wettbewerb von fundamentaler Bedeutung“Nicole Kuhn, Aachener Familienservice

Was als zweijähriges Projekt begann, ist in Aachen seit Mai 2011 eine feste Institution des städtischen Fachbereichs Wirtschaftsförderung/ Europäische Angelegenheiten: der Aachener Familienservice. Geschuldet war die Idee dazu „nicht nur dem demographischen Wandel“, sagt Kuhn, „Fachkräfte sind rar und gesucht“ und für ein Unternehmen im Wettbewerb von fundamentaler Bedeutung. „Die Überlegung war: Wie kann man die Familien und Unternehmen von unserer Seite aus gleichermaßen unterstützen?“ Und somit die regionale Wirtschaft. Es entstand ein Service, der die Unternehmen unter anderem bei Lösungen zur Kinderbetreuung, bei der Bildungsberatung, der Arbeitsorganisation oder den Möglichkeiten in der Pflege der Angehörigen berät und unterstützt. Kurz: ein Familienservice, der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert. Hierbei kommt es auf flexible Lösungen an, die auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter des teilnehmenden Unternehmens zugeschnitten sind.

Familienservice und Caritas schließen sich zusammen

Der Familienservice analysiert zunächst, „was das Unternehmen und seine Beschäftigen tatsächlich benötigen“, erläutert Nicole Kuhn. Vorstellungen und Bedarfe des Unternehmens werden erörtert, aber auch die Möglichkeit eines Zusammenschlusses mit Firmen in der näheren Umgebung, sollte das sinnvoll sein. „Es fragen also nicht nur Unternehmen bei uns an, wir gehen auch auf sie zu“, so Kuhn weiter. Von der initialen Analyse an bis zur letztendlichen Vermittlung des zugeschnittenen Services begleitet der Aachener Familienservice das gesamte Prozedere. Genauer: „Wir kümmern uns in erster Linie um die Dinge, die in den Bereich der kommunalen Verwaltung fallen“, erläutert Kuhn, „die Serviceleistungen in den Bereichen Betreuung und Pflege kommen von unserem Partner, der Caritas.“ Dieser Partner ist von Anfang an mit im Boot, da er genau mit den sozialen Kompetenzen aufwartet, die eine Einrichtung und Umsetzung familienfreundlicher Maßnahmen fachgerecht ermöglichen.

Die Aachener Caritas ist als Wohlfahrtsverband mit vielen Kooperationspartnern aus sozialen und pflegerischen Einrichtungen in der Lage, in ihrem eigens eingerichteten Unternehmensservice die so gefragten Leistungen zu erbringen. „Wir vermitteln beispielsweise Tagesmütter, die eine begrenzte Zahl von Betreuungsplätzen für uns freihalten “, erzählt Melanie Kugelmeier vom Caritas Unternehmensservice. Fällt die Regelbetreuung aus, könne man so flexibel reagieren: „Ein Ausfall von zwei, drei Tage lässt sich problemlos kompensieren.“ Weiterhin bietet die Caritas telefonische Beratung an, „in der man kein unpersönliches Callcenter, sondern mich erreicht“, sagt Simone Holzapfel. Für die unterschiedlichsten Beratungsleistungen ist sie mit Zusatzqualifikationen ausgestattet: „Von der Mutter, die sich Sorgen um ihr pubertierendes Kind macht, bis zu Fragen zum demenzerkrankten Vater haben wir schon alles gehört. Und auch immer helfen können“, weiß Holzapfel.

„Dem Caritasverband gelingt es, in den meisten Fällen eine individuelle Lösung für die Anfragen zu finden“Markus Breuer, Sparkasse Aachen

Sparkasse vorbildlich

Neben Unternehmen wie Ford, Saint-Gobain, regioIT oder FEV nimmt auch die Sparkasse Aachen die Angebote des Familienservices wahr. Markus Breuer, Direktor Personal der Sparkasse Aachen, weiß um die Wichtigkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie: „Wir haben mit 40% eine hohe Teilzeitquote. Von daher ist es uns wichtig, dass Kinder oder auch pflegebedürftige Angehörige unserer Mitarbeiter gut betreut sind. Unsere Mitarbeiter können dann in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen.“ Breuer nennt in diesem Zusammenhang ein weiteres Angebot der Caritas, die ‘Familienfeuerwehr’: „Unsere Mitarbeiter wissen, dass sie in ganz kurzfristigen Fällen auch die Familienfeuerwehr rufen können, die dann auch zu ihnen nach Hause kommt.“ Die Zahl der ‘Feuerwehrleute’ ist zwar begrenzt, „doch in den meisten Fällen funktioniert dieses kurzfristige Einspringen auch“, berichtet Breuer. „Die Familienfeuerwehr ist übrigens ein Angebot, das jeder im Aachener Stadtgebiet nutzen kann, unabhängig davon, ob er am Familienservice teilnimmt“, ergänzt Holzapfel.

„Dem Caritasverband gelingt es, in den meisten Fällen eine individuelle Lösung für die Anfragen zu finden“, ist Markus Breuer zufrieden. Denn schließlich wirke sich das auf die Attraktivität als Arbeitgeber aus. Auch umgekehrt ist man zufrieden. Melanie Kugelmeier: „Weil die Sparkasse Aachen eines der Unternehmen ist, die sich des Themas ‘Angehörigenpflege’ schon bewusst sind, kommen von den Mitarbeitern auch vermehrt Fragen in diese Richtung.“ Sie und Simone Holzapfel leisten Pflegeerstberatung, Hilfe zu Behördenfragen und erklären immer öfter, was da eigentlich auf die Familien zukommt. Je nach Nachfrage organisieren Kugelmeier und Holzapfel auch Mitarbeiterschulungen zu allen familienrelevanten Themen. „Familie ist mehr als Kinderbetreuung. Mit der Altenpflege kommt in den nächsten Jahren ein großes Thema auf uns zu, dem sich zu recht schon jetzt einige Unternehmen widmen“, so Kugelmeier. Auch hier kann die Caritas auf Kontakte und Kompetenzen zurückgreifen.

Familienservice stellt das Netzwerk

„Wir verstehen uns als netzwerkende Stelle“, erläutert Nicole Kuhn den Familienservice weiter. Als Einrichtung, die beispielsweise einmal im Quartal ein Unternehmensfrühstück organisiert und sich dort mit den Beteiligten austauscht. Die aktiv netzwerkt und Infos und Tipps aufnimmt und weitergibt.

„Wir konnten den ein oder anderen politischen Weg ebnen.“
Die die Caritas an den richtigen Stellen ins Spiel bringt und die im richtigen Moment auch selbst aktiv wird. „Wir konnten durch Einbeziehung der entsprechenden Fachdienststellen den ein oder anderen politischen Weg ebnen“, erzählt Kuhn, „als wir etwa vor dem Problem standen, dass eine institutionelle Kinderbetreuung in einer KiBiz-geförderten Einrichtung bisher nur für Aachener Kinder zugänglich war, die beteiligten Unternehmen jedoch auch Pendler beschäftigen, die eine Kinderbetreuung ebenso benötigen. Hier mussten die entsprechenden Vorlagen geschrieben und die nötigen politischen Beschlüsse eingeholt werden.“

Im Beispiel der ‘Betriebskita Eilendorf-Süd’, einem laufenden Projekt, in dem sich die Firmen Grünenthal, FEV, Babor und Blitzschutzbau Rhein-Main zusammengetan haben, leistet Nicole Kuhn seit zwei Jahren weitere Pionierarbeit. Die fünf Unternehmen möchten eine gemeinsame Betriebskita in unmittelbarer Nähe ihrer Standorte eröffnen, sprich: im Gewerbegebiet Eilendorf-Süd. Das stellt natürlich besondere Anforderungen an die unterschiedlichen Genehmigungen, die im Vorfeld von Bau und Einrichtung eingeholt werden müssen. „Eine Kita unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes für Kinder in einem Gewerbegebiet ist für alle Neuland“, so Kuhn. „Wir haben die komplette Beratung auf Verwaltungsseite übernommen und erneut die entsprechenden Vorlagen zur Entscheidung für die politischen Gremien der Stadt Aachen geschrieben, und genau das ist unsere Leistung: die richtigen Partner an einen Tisch zu bringen, um so etwas gangbar zu machen“, so Kuhn weiter. Dazu gehörte auch, Träger und Finanzierung zu finden.

Mitarbeiter freuen sich über familiären Arbeitgeber

„Wir sind die ersten, die eine solche Verbundkita auf die Beine stellen“, weiß auch Sigrid Nachtigahl, die sich bei Grünenthal zusammen mit Projektleiter Oliver Lamm um das Projekt kümmert. „Nachdem wir einen passenden Träger gefunden hatten, mussten wir viele weitere fachliche, bauliche und finanzielle Voraussetzung schaffen müssen. Da war der Familienservice der Stadt eine sehr große Hilfe!“ Die großen Gutachten seien nun da, die Grundgenehmigung auch, und so soll auch die Baugenehmigung zeitnah eingereicht werden können. Läuft alles planmäßig, kann die Betriebskita Eilendorf-Süd Ende 2014 eröffnet werden.

„Wir wollen uns als Arbeitgeber abheben.“
„Bei unseren Mitarbeitern spüren wir deutlich, dass sie sich nach zwei Jahren mitfiebern richtig auf die Einrichtung freuen“, so Nachtigahl weiter. Ein Audit „Beruf und Familie“ im Vorfeld hatte ergeben, dass viele Mitarbeiter sich diese Möglichkeit der integrierten Kinderbetreuung wünschen. „Wir wollen uns als Arbeitgeber abheben“, so Nachtigahl weiter. „Natürlich sind wir als forschendes Unternehmen attraktiv und bieten ein entsprechendes Leistungsumfeld. Bei sogenannten High Potentials rücken daneben jedoch zunehmend auch soziale Faktoren bei der Arbeitgeberwahl in den Vordergrund.“

Natürlich sei die Implementierung solch weicher Standortfaktoren noch nicht überall machbar, der Familienservice bewege sich derzeit eher branchenspezifisch, sagt Nicole Kuhn. In erster Linie spreche man von Unternehmen im höheren Lohnniveau, etwa aus Forschung und Wissenschaft, die gut ausgebildete Spezialisten brauchen. „Im Einzelhandel etwa, wo sehr viel mit Aushilfen und Minijobs gearbeitet wird, ist es momentan schwierig.“ Die Rentabilität fehle dort, auch wenn es sicherlich auch da Bedarf gibt. Aber: „In der Pflege tut sich gerade etwas. Die Gehälter dort sind zwar auch niedriger, der eklatant große Fachkräftemangel führt aber zu Überlegungen, wie man das Arbeiten in diesem Beruf attraktiver machen kann.“

Die Unterstützung der Familie gibt Sicherheit. Auch – und da sind sich Nicole Kuhn vom Familienservice und Simone Holzapfel und Melanie Kugelmeier vom Caritas Unternehmensservice einig – wenn der Bedarf an Betreuung oder Pflege im Vorfeld oftmals höher formuliert wird, als die tatsächliche Nutzung. „Oft geht es einfach um das Gefühl, aufgefangen zu werden, wenn Not am Mann ist“, sagt Kugelmeier. „Das ist wie mit dem ADAC“, weiß Kuhn: „Man braucht ihn nicht ständig, aber es ist gut zu wissen, dass er da ist.“ Die Familienfreundlichkeit in Unternehmen ist nicht nur eine gesellschaftliche Pflicht, sondern letztlich auch ein stabilisierender Wirtschaftsfaktor. Weshalb Nicole Kuhn wohl auch weiterhin sehr gefragt sein wird.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der KingKalli-Ausgabe Feb./ Mrz. ’14.
Christian machte 15 Jahre lang Musik, nahm Platten auf und tourte durch Europa. Zwischendurch studierte er und nahm die ersten Texterjobs an. Jetzt ist er freier Texter, Autor und Redakteur für Kommunikationsagenturen und Verlage, für Zeitschriften und Magazine, für die öffentliche Hand und Direktkunden, online und offline. Er mag Rhythmus und Prägnanz, Melodie und Relevanz. In Headline, Copy oder Redaktion, im Storytelling und relevantem Content. textass hold 'em.