Kinder und das Fernsehen – schon immer eine zweischneidige Geschichte: fördernd oder schädigend? Wissenssendungen für Kinder gibt es heute einige, aber nicht jedes Format ist für jedes Kind geeignet, geschweige denn interessant. Und zuviel Fernsehen ist belegbar ungesund. Berieselung oder Aha-Effekt: Was macht eine gute Wissenssendung aus?
Das ist der Christian Dang-anh. Christian hat schon als Kind gerne ferngesehen, und heute schreibt er auch gerne. Zum Beispiel das Folgende. Ja, ich höre heute immer noch gerne Armin Maiwalds Stimme. Er und/ oder Christoph Biemann haben mir damals erklärt, wie die Streifen in die Zahnpasta kommen! Und die Maus hat schon damals für mich mit den Augen geklimpert. Bis heute schnüffelt sie kurz (und klimpert), holt ein Werkzeug aus der Hosentasche, verändert oder benutzt es und schafft sich damit eine Lösung. Eine eigene, wenn auch manchmal etwas unkonventionell. Aber sie kommt zum Ziel.
Einige Einspieler von Maus und Elefant, von Armin und Christoph kenne ich noch, und noch heute sehe ich sie gerne. Was vielleicht auch daran liegt, dass es daneben außer der Sesamstrasse nur noch die Knoff-Hoff-Show gab. Jedenfalls ist da etwas hängengeblieben. Heute sieht die Fernsehlandschaft ganz anders aus, entsprechend viele Wissenssendungen für Kinder gibt es mittlerweile. Können die alle so gut wie die Maus sein? Was müssen Wissenssendungen für Kinder überhaupt leisten, um Spaß zu machen und gleichzeitig lehrreich zu sein? Um Neugier zu wecken und Erkenntnisse zu bringen?
Was muss das Fernsehen für Kinder leisten?
Das ist der Dr. Stefan Aufenanger. Stefan ist Professor für Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik an der Universität Mainz. Bereits 2004 verfasste er ein Thesenpapier in der TelevIZIon, der Fachzeitschrift des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), mit dem Titel „Anregen statt vorgeben“. Darin lobt er zwar die „engagierten Redakteurinnen und Redakteure des Kinderfernsehens“, die in den vorangegangenen Jahren „eine wichtige Funktion des Fernsehens aufgegriffen und in Bezug auf die jugendliche Zielgruppe umgesetzt“ haben. Doch fehle angesichts der enormen Rolle, die das Medium Fernsehen (und die Neuen Medien, auch wenn er hier das Internet nicht explizit nennt) als „zentrales Fenster zur Welt“ einnehme, das uns und unseren Kindern im Vergleich zu vorangegangenen Generationen die Welt viel näher bringe, an einem an diese schnelle Entwicklung angepasstes Konzept. Aufenanger schlägt vor, das Lernen zu lehren, um unsere Kinder zu befähigen, sich auf neue Situationen einstellen und mit Problemen umgehen zu können. „Umgang mit Krisen statt Erlernen von Routinen, wie es meist noch in der Schule vermittelt wird, ist hier ein bedeutendes Lernziel. Genau an diesem Punkt sollten die Medien in ihrer Vermittlung und Darstellung von Welt anknüpfen.“ Zudem definiert er den Begriff der Wissenssendung genauer: „Informationen fehlt der Bezug zur Lebenswelt der kleinen Rezipienten. Wissen ist mit Sinn und Kontextbezug versehene Information.“
Etwas grundsätzlicher gefragt: Was muss das Fernsehen für Kinder tun, um zu fördern, statt zu schädigen? Das ist Dr. Maya Götz. Die Maya ist Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) und des Prix Jeunesse International, München. Sie nennt in ihrem TelevIZIon-Artikel „Fernsehen von 0,5 bis 5“ „Einige Grundregeln für das Produzieren von Vorschulsendungen“: Solche Formate sollten genügend Zeit zum Eindenken und Verstehen lassen und Situationen und Inhalte suchen, die Vorschulkinder aus ihrem Alltag bereits kennen, also die Lebenswirklichkeit treffen. Handelnde Figuren sollten im Mittelpunkt stehen, die Handlung chronologisch und etwa ohne Rückblenden erzählt und im Bild stets das Wichtigste gezeigt werden. Studien belegten, dass Vorschulkinder nicht nur langsamer als Erwachsene verstünden, sie können auch bestimmte Details nicht entschlüsseln. „So verstehen 3- bis 4-Jährige ausschließlich chronologische Abläufe. Bei 4-Jährigen können beispielsweise nur 4 % der Kinder eine Geschichte mit Rückblenden nachvollziehen. Bei den 8-Jährigen sind es schon 88 %.“
Weiterhin sollten formale Gestaltungsmittel wenn überhaupt, dann nur kontextualisiert eingesetzt werden: Ein Splitscreen als Darstellung zweier paralleler Ereignisse sei etwa noch gerade verständlich, wohingegen eine Unschärfeblende „als Zeichen, dass es sich im Folgenden nun um einen Traum handelt“ von Kindern kaum verstanden würde, so Götz weiter. „Effekte (sogar sehr einfache) können das Verständnis einer Sendung für Vorschulkinder erschweren.“ Gleiches gelte übrigens auch für die Handlung, die anhand der Bilder entschlüsselt würden. Nicht zu vergessen: Emotionen sollten auch erklärt werden, statt implizit auf ihnen aufzubauen. Komplexe oder indirekte Emotionen könnten laut einer weiteren Studie „Vorschulkinder oftmals nicht verstehen.“
Lernen Kinder vom Fernsehen?
Grundsätzlich wollen Kinder immer lernen – also natürlich auch vom Fernsehen. Eine Studie aus dem Jahre 2003 zeige Hinweise, so Maya Götz weiter, dass schon Babys Emotionalisierungen aus Gegenständen im Fernsehen übernähmen. Reagiere ein Erwachsener in einer Sendung positiv oder negativ auf einen bestimmten Gegenstand, ändere das auch das Verhalten eines 12 Monate alten Babys. Aber: „Nachweise dafür, dass Kleinstkinder durch Fernsehprogramme darüber hinaus geistig gefördert würden – im Sinne des Werbeslogans ‘For the genius in your child’ – finden sich jedoch nicht.“ Außerdem belegten verschiedenen Studien, dass „gerade Klein(st)kinder zwischen 18 und 22 Monaten vom Fernsehen bei Weitem nicht so effektiv lernen wie von direkten Interaktionen“, wie es bei Götz weiter heißt.
Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. Das ist Tobias Albers-Heinemann. Der Tobias vom Medienpädagogik Praxis-Blog ist Diplom-Sozialarbeiter und –Medienberater, der hauptberuflich als Referent für Medienbildung in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau arbeitet. „Ich finde, das Fernsehen stagniert ein wenig, es gibt nur wenige Innovationen, oftmals sind die Formate nur kurzweilig und ohne großen Lerneffekt“, sagt Tobias Albers-Heinemann. Speziell bezogen auf Wissenssendungen gebe es einerseits schöne Formate für Kinder, andererseits unterliege jede Fernsehsendung natürlich auch gewissen Marktgesetzen. „In meinen Augen sind Tablets heute viel effektivere Lerntools als das Fernsehen“, so Albers-Heinemann weiter. „Mit ihnen kann wesentlich zielgerichteter und interaktiver gearbeitet werden, während das Fernsehen viel zu viele Dinge erfüllen muss, um zu gefallen und eingeschaltet zu werden. Da geht es oftmals leider viel mehr um Zeitgeist als um Inhalte.“
Quoten oder Inhalte?
Die Frage, was Kinderfernsehen und Wissenssendungen im Speziellen leisten müssen, damit Kinder auch etwas davon haben, ist vielschichtig. „Da wäre etwa die Frage nach der Fähigkeit, Dinge aufzunehmen“, sagt Albers-Heinemann, „die sich nach dem Alter der Rezipienten richtet. Schon von daher ist es schwierig, pauschal zu sagen, was Wissensmagazine für Kinder leisten müssen.“ Die Dauer der Inhalte spiele eine große Rolle, denn „bei allem über vier Minuten schalten Kinder ab, weil sie nicht mehr folgen können“, so Albers-Heinemann weiter. Auch die Art der Aufbereitung der Inhalte sei hier relevant, eher spielerisch, musikalisch, situativ oder erklärend. Die Lach- und Sachgeschichten der Maus seien dahingehend ein gutes Beispiel, da hier einfach ein guter Mix gefunden worden sei. Grundsätzlich biete das Fernsehen schon gute Lernmöglichkeiten, da bewegte Bilder einfach verständlicher seien als beispielsweise ‘nur’ der Ton aus dem Radio.
Eine IZI-Studie namens „Wissens- und Dokumentationssendungen für Kinder“ stößt in ein ähnliches Horn: Man befragte im Untersuchungszeitraum zwischen 2002 und 2004 300 Jungen und Mädchen im Alter zwischen 6 und 12 Jahren zu damaligen Formaten, die sich explizit an Schulkinder richteten. Die Ergebnisse zeigten, dass es sich mit jedem Format anders lernen lässt. Nicht nur die Inhalte seien nämlich unterschiedlich, sondern auch die Art und Weise der Vermittlung. Maya Götz nennt dies die „Lernräume“: „Kinder lernen, indem sie sich mit einer Sympathiefigur Abläufe ansehen. Hier gewinnen sie vor allem konkrete Bilder und Szenen. Fakten memorieren sie leichter, wenn Inhalte didaktisch geschickt aufbereitet werden. Dies kann eine vermittelnde Sympathiefigur, aber auch eine gelungene Erklärung mit entsprechender Visualisierung sein.“ Denn bei attraktiver Aufbereitung böten die Inhalte Kindern Anknüpfungspunkte, wodurch die Kinder einige der angebotenen Fakten aufnehmen könnten. „Grundsätzlichere Zusammenhänge der Fakten und der Gewinn moralischer Orientierung treten seltener auf als das Erinnern von Fakten oder Szenen.“ Über das Verstehen von Konkretem könne so etwas Allgemeines erkannt werden. Die narrative Einbindung von Wissen scheine für diese Art der Konstruktion besonders geeignet zu sein, berichtet Maya Götz weiter und fügt an: „Vermutlich brauchen Kinder für diese komplexeren Arten des Lerngewinns Zeit: Zeit zum Einfühlen, Verstehen und Zeit, aus dem Gesehenen eigene Schlussfolgerungen zu ziehen.“
Beim BR arbeite man daher eng mit dem IZI oder auch dem FWU, dem Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht zusammen, berichtet Redakteurin Birgitta Kaßeckert. Denn der pädagogische Ansatz sähe so aus, dass man die Zielgruppe, die 6 bis 10-jährigen Kinder, für die Themen dieser Welt begeistern wolle: „Wir wollen ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie ein Teil davon sind und diese mitgestalten können. Das funktioniert nur, wenn wir wissen, wie unsere Zielgruppe tickt, sonst erreichen wir sie mit unseren Sendungen nicht.“ Als „Kinderfernseh-Macher“ habe man in der Kinderredaktion des BR selbstverständlich auch selbst sehr viel Erfahrung, die man in die Konzeption einbringe.
Zuviel Fernsehen schadet!
Natürlich bieten das Fernsehen allgemein und Wissenssendungen im Speziellen tolle Möglichkeiten der Förderung von Kindern, auch schon im Vorschulalter. Es ist aber auch belegt, dass zuviel Fernsehen schadet. Maya Götz zieht auch hier verschiedene Studien heran, die z. B. aus neurobiologischer Sicht zeigen, dass in der Reizstärke des Fernsehens Gefahren liegen. Das Fernsehen als rein audiovisuelles Medium verhindere zudem einige entscheidenden Verknüpfungen im Gehirn, „die später für komplexe Denkzusammenhänge benötigt werden.“ Insgesamt sei eine deutliche Tendenz aus den Forschungsergebnissen zu lesen: Vielseher hätten deutliche Defizite bei Lesefähigkeit, Leseverständnis und Leistung des Kurzzeitgedächtnisses. Auffällig seien auch ein vergleichsweise geringer Wortschatz und weniger Sprachkenntnisse allgemein. Hinzu kämen Schlafstörungen, teils auch Übergewicht bei vielsehenden Vorschulkindern, die mehr als eine Stunde täglich fernsehen.
Gutes Fernsehen für Kinder muss die richtige Mischung treffen: ansprechen, anregen, erwecken, begeistern. Viele Wissenssendungen schaffen das. Gutes Kinderfernsehen bedeutet aber auch, dass Eltern ihre Kinder dabei begleiten. Um zu wissen, was man seinem Kind schon zumuten und was ihm fördernd zur Seite gestellt werden kann, ohne es dabei zu überfordern. Und wie immer gilt (für Eltern und Fernseh-Macher gleichermaßen) der gesunde Menschenverstand: auf die Kinder eingehen, Neugier wecken, Erkenntnis anregen, statt mit Bildern, Tönen und Informationen zuballern. „Wissen ist mit Sinn und Kontextbezug versehene Information“, sagte der Stefan ja am Anfang. Kinder wollen lernen und wissen. Dafür gibt es heute auch mehr als „nur“ die Maus, das Neugier weckt und sie befriedigt und auch durchaus gut ist, wenn es zum Kind passt. Das ist meine Erkenntnis für heute. Klimperklimper.
Neben dem IZI gibt es im Netz und in gedruckter Form auch weniger wissenschaftliche Portale und Publikationen. Diese geben einen guten Überblick darüber, welche Sendungen und Sehgewohnheiten für Kinder in welchem Alter geeignet sind. „Das ist eine gute Orientierung, um sich als Eltern mal eben schlau zu machen“, sagt auch Tobias Albers-Heinemann. Ihre Seriosität lasse sich zudem gut aus dem Impressum herauslesen: Wer unterstützt die Portale oder Redaktionen? „Häufig sind das Landesinstitutionen, und die sind verlässlich!“ Hier eine kleine Auswahl:
www.izi.de: Forschung und Dokumentation zur Förderung der Qualität von Kinder- und Jugendfernsehen, auch mit abonnierbarer Publikation („TelevIZIon“).
www.flimmo.tv: Programmberatung für Eltern, gibt auch ein vierteljährliches Heft heraus, das sich abonnieren lässt. Greift verschiedene Themen rund um Kinder- und Jugendfernsehen auf.
www.medienbewusst.de: Deutschlandweites Projekt der TU Ilmenau, das sich mit Medienkompetenz im Allgemeinen befasst. Redaktionell betrieben von Wissenschaftlern und Studenten, mit Programmtipps uvm.
www.medienpaedagogik-praxis.de: MedienpädagogInnen aus ganz Deutschland sammeln hier „Materialien, Methoden, Projektbeispiele, Tipps, Tricks und aktuelle Informationen für die medienpädagogische Praxis in Jugendarbeit und Schule“. Auch hier geht es um Medienkompetenz im Allgemeinen.