Philip Seymour Hoffman: Sucht

Sucht ist eine KrankheitEin Nachruf ist das hier eher nicht. Das ist in den letzten Tagen oft genug und auch richtig gut geschehen, um diesem großartigen Schauspieler würdig zu huldigen. Die Nachricht seines Todes macht traurig und auch ein bisschen wütend. Denn offenbar erlag der 46-jährige seiner langjährigen und erst kürzlich wieder aufgebrochenen Drogensucht. Wie so etwas Tragisches und Unnötiges sein kann? Was das Internet in seinem Aufschrei über den neuen prominenten Drogentoten schnell vergessen hat, ist die Tatsache, dass Sucht eine Krankheit ist.

Der Tweet Padaleckis zum Tode Hoffmans. Padalecki löschte den Tweet kurze Zeit später.

 

Schauspieler Jared Padalecki, vor allem bekannt durch seine Rolle des Sam Winchester in der Mysterie-Serie „Supranatural”, setze nach Bekanntwerden des Todes Hoffmans einen Tweet ab, den er später wieder löschte – weil die Reaktionen darauf sehr heftig waren. In der Folge musste sich Padalecki für den Inhalt besagten Tweets permanent rechtfertigen.

Ob unbedacht, missverständlich formuliert oder einfach dumm, Padaleckis Tweet rief auch Zustimmung hervor. Es gab Reaktionen, die besagten, Padalecki habe lediglich das ausgesprochen, was sich sonst kaum jemand traue: Hoffman habe sein Talent und sein Leben nunmal einfach weggeworfen. Eine weit verbreitete Meinung, die auch nach dem Tod der Ausnahmesängerin Amy Winehouse oft zu hören war: selbst Schuld. Vergessen wird dabei gerne, dass sie krank waren. So wie Millionen weitere Suchtkranke.

Heroin: beliebt, weil tückisch

Die Süddeutsche Zeitung schildert im Zusammenhang mit dem Fall Hoffman die „Alltagsdroge Heroin”, die Amerikas Ostküste derzeit wiedermal überschwemmt. Heroin sei etwa in New York an jeder Ecke zu bekommen, heißt es da, es gebe Kurierdienste, die einem die Beutelchen mit illustren Namen wie Ace of Spades oder Ace of Hearts bis an die Haustür bringen. Wegen steigender Produktion gerade in Mexiko sei Heroin zudem sehr billig; die Drug Enforcement Administration (DEA) nenne Heroin schon eine Epidemie. Spiegel online stößt ins gleiche Horn: Nach den 70er und 80er Jahren sei New York City wieder „Hochburg des neuen Heroin-Booms”, in der erst zwei Tage vor dem Tod Hoffmans eine Heroinküche mit 13 Kilogramm der Droge ausgehoben worden sei. Wert: acht Millionen Dollar.

Heroin ist gleichermaßen beliebt wie tückisch. Ende des 19. Jahrhunderts von Bayer als Medikament entwickelt, war die Idee dahinter, ein Opioid zu erzeugen, also einen dem Opium ähnlichen Stoff, der die gleichen Wirkungen mit sich bringt: dämpfend und gleichzeitig euphorisierend. Der Name Heroin leitet sich vom griechischen Heros ab, dem Helden.
Das Medikament wurde bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts verkauft, als klar wurde, dass es genau wie Opium süchtig macht. „Wir haben im gesamten Körper eine Menge Opiatrezeptoren, an die dann wiederum Endorphine andocken“, erläutert Dr. Karl Frenzel, Aachener Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut. Endorphine lösen viele Effekte aus, unter anderem erzeugen sie Euphorie. Besonders aktiv sind sie im limbischen System, das u.a. für die Verarbeitung von Emotionen verantwortlich ist, und sie sind nichts anderes als körpereigene Opioide. „Der Heroinrausch wird dadurch eine sowohl körperlich als auch emotional extreme Erfahrung“, sagt Frenzel.

Heroin wirkt extrem stark angstlösend und euphorisierend, es blendet Konflikte aus. „Fatal, denn damit werden Grundbedürfnisse des Menschen nach Harmonie, Frohsinn und nach einem Leben ohne Ängste schnell und heftig bedient”, so Frenzel weiter. Heroin dockt an Gehirnstrukturen und zum Beispiel auch an Rezeptoren im Rückenmark an. Es wirkt umfassend, „daher dieses übersteigerte Hochgefühl.” Desto tiefer natürlich der Fall. Das Craving, das Substanzverlangen des suchtkranken Menschen, ist entsprechend vehement. Hinzu kommt der Toleranzeffekt, der den Körper nach immer öfteren und stärkeren Dosen verlangen lässt. „Süchtig kann man nach Heroin schon nach 14 bis 21 Tagen werden”, erklärt Frenzel, und das sei eine durchaus schnelle Abhängigkeit.

Sucht ist zumeist Teil zwei einer Doppeldiagnose

„Sucht ist als Krankheit noch gar nicht so lange anerkannt”, weiß Maria Maja Falke, Sozialtherapeutin Sucht. „Früher galten Suchtkranke vor allem als gierige Menschen ohne Maß.” Tatsächlich wurde mit der Alkoholabhängigkeit erstmals eine Sucht als Krankheit anerkannt – durch ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts im Jahre 1969. „Eine Sucht ist eine psychische Erkrankung”, so Falke weiter, „der in den allermeisten Fällen eine Grunderkrankung des betroffenen Menschen zugrunde liegt.” Grundsätzlich unterscheide man in einem psychoanalytischen Ansatz zwischen zwei Kategorien von Suchtkranken: Personen mit neurotischer Struktur und Patienten mit strukturellen Störungen.

Bei der ersten Kategorie spricht man davon, dass der Suchtstoff fehlende ich-Funktionen übernimmt. Defizite etwa in der Affekt- oder Frustrationstoleranz, aber auch Schwierigkeiten bei der Selbstwertregulation sollen so kompensiert werden. Persönlichkeitsstörungen wie etwa das Borderline-Syndrom bedingen hingegen, dass die Droge zum Objektersatz wird. „Alle Libido wird hier auf den Suchtstoff gelenkt”, erläutert Falke. „Und ohne die Droge dekompensiert die Psyche; sie fällt in sich zusammen.” In einer Therapie dürfe man daher die Droge auch nicht einfach entfernen: „Ein Ersatz für die Kompensation muss her. Manchmal funktioniert das schon über einen Hund, um den man sich kümmern muss.” Die Chancen, eine Sucht in den Griff zu bekommen, stünden bei der ersten Gruppe übrigens deutlich günstiger.

Eingeschränkte Entscheidungsmöglichkeit

„Der Süchtige kann nicht einfach aufhören!”, so ein Leitsatz, den Maria Maja Falke in der Ausbildung oft gehört hat. Dadurch entsteht aber auch ein großer Leidensdruck, der den Umgang mit der Sucht nicht gerade erleichtert. Hinzu kommen die körperlichen Belastungen durch die Nebenwirkungen des Suchtstoffs und die der zugrundeliegenden psychischen Erkrankung. „Zudem weiß man heute, dass dem Drang eines aktivierten Suchtzentrums nur sehr schwer zu widerstehen ist”, ergänzt Dr. Karl Frenzel. Menschen, die keiner Sucht erliegen, könnten das Verlangen daher selten nachvollziehen: „Als nicht-Süchtiger kennt man dieses extreme Gefühl nicht.”

Frenzel schildert weiter, man gehe heute davon aus, „dass es Genstränge gibt, die ausschlaggebend für die Sensibilität des Suchtzentrums sein können. Durch eine gewisse biologische Veranlagung ist man also eher empfänglich für Süchte.” Nimmt man die möglichen psychischen Erkrankungen hinzu, die nach Kompensation verlangen, stellt sich unweigerlich die Frage, ob (potentiell) Suchtkranke überhaupt eine Wahl haben, wenn sie an den Punkt kommen, an dem sie sich zwischen dem einfachen und dem schwierigen Weg entscheiden müssen. „Verhaltenstheoretisch spricht man tatsächlich von fehlender Wahlmöglichkeit. Aus psychoanalytischer Sicht würde man die Beziehungs- oder ich-Störung in den Fokus der Betrachtungen stellen”, erklärt Marie Maja Falke. „Innerhalb derer darf der Suchtstoff bzw. der Rausch keine Funktion übernehmen, für die es sonst keine Alternative gibt. Wenn nur diese Möglichkeit bleibt, hat der suchtkranke Mensch kaum noch eine Wahl.”

Der richtige Umgang

Bestimmte Voraussetzungen erhöhen also die Suchtgefahr. Dementsprechend schwierig gestalte sich aber auch die Therapie: „Vereinfacht dargestellt: Stellen Sie sich einen halbwegs stabilen Menschen vor, der sich zum Beispiel durch einen Alkoholrausch sprichwörtlich ins Wanken bringt”, so Dr. Karl Frenzel.  Nach dem Rausch sei dieser in der Lage, sich wieder einzupendeln. „Ist dieser Mensch aber von vornherein psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht, läuft er Gefahr, sehr schnell noch sehr viel weiter aus der Bahn geworfen zu werden. Drogenkonsum verändert die Persönlichkeit.” Wichtige Voraussetzung für eine Therapie sei daher, dass der Patient clean bleibt. Und Abstinenz bedeute, „dass man sein Leben auf vielen Ebenen verändern muss, um sich so weit wie möglich von dem gefährlichen Strudel zu entfernen.” Dass Suchtkranke gesellschaftlich eher geächtet sind und daher auch eher Ablehnung als Unterstützung erfahren, kommt nur noch erschwerend hinzu.

Gerade im Bereich der Persönlichkeitsstörungen gibt es wenige Chancen auf eine vollständige Heilung, es geht vor allem um den richtigen Umgang: „Man muss lernen, mit der Sucht zu leben”, so Maria Maja Falke. Und schon ein kleines Beben in einer halbwegs stabilisierten Struktur kann alles wieder ins Wanken bringen. Philip Seymour Hoffman soll 23 Jahre lang clean gewesen sein, bevor die Sucht 2013 wieder ausbrach. Beruflicher Druck, persönliches Ereignis oder auch nur eine winzige Veränderung im Leben: „Der Auslöser für einen Rückfall kann durchaus so klein sein, dass Außenstehende ihn nicht wahrnehmen”, so Falke weiter. Ob Hoffman sich durch eine Überdosis das Leben nehmen wollte, wird wohl weiter unklar bleiben. Aber: „Die meisten Suchtkranken müssten ungefähr einschätzen können, wie eine Droge wirkt. Eine Überdosis ist also oftmals ein kalkulierter Suizid. Und das ist durchaus traurig“, so Dr. Karl Frenzel. Und sehr wohl auch der passende Begriff für das, was Philip Seymour Hoffman widerfahren ist. Was Millionen Suchtkranken widerfährt. Traurig. Maria Maja Falke: „Drogen sind immer auch der Versuch, die kaputte Seele zu heilen.”

Interessant in diesem Zusammenhang ist zudem der Brief, den Comedian Russel Brand – selbst cleaner Suchtkranker – für den Guardian zum Tode Hoffmans geschrieben hat: „Addiction is a mental illness around which there is a great deal of confusion, which is hugely exacerbated by the laws that criminalise drug addicts.” Es gibt aber auch einige sehr schöne Nachrufe auf Philip Seymour Hoffman; einer davon ist der Text von Filmkritiker Daniel Kothenschulte in der Frankfurter Rundschau: „Meister des menschlichen Makels„. Einen weiteren hat z.B. Tom Junod im Esquire verfasst.
Christian machte 15 Jahre lang Musik, nahm Platten auf und tourte durch Europa. Zwischendurch studierte er und nahm die ersten Texterjobs an. Jetzt ist er freier Texter, Autor und Redakteur für Kommunikationsagenturen und Verlage, für Zeitschriften und Magazine, für die öffentliche Hand und Direktkunden, online und offline. Er mag Rhythmus und Prägnanz, Melodie und Relevanz. In Headline, Copy oder Redaktion, im Storytelling und relevantem Content. textass hold 'em.

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