Die Alemannia aus Aachen lässt einen dieser Tage einfach nicht mehr los. Und mittendrin: mein Sohn, der die Alemannia gerade für sich entdeckt und davon hoffentlich noch lange hat. Für das Fußball-Fanzine Überdachte durfte ich einen Erlebnisbericht Alemannia Aachen – Rot-Weiß Essen schreiben. Oder besser: Vater sieht, wie sich Schwarz-gelb bei Sohn einbrennt.
“Papa, was bestellen wir?” – “Ein Bierchen für Opa. Und wir beide teilen uns ein Wasser.” – „Ok, ein Bier und ein Wasser, bitte!” Dass hier ein Fünfeinhalbjähriger seine erste Bierbestellung vollzieht, wird mir erst später klar. Denn eigentlich liegt mein Fokus darauf, dass mein Sohn zum ersten Mal den ausverkauften Tivoli erlebt. Was in seinem Leben wohl leider nicht mehr ganz so häufig vorkommen wird wie das Bestellen eines Bieres, fürchte ich.
Das erste Spiel meines Sohnes war das Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf II im April 2014. S4 war ihm zu laut, warum ihn also quälen und den Spaß am Tivoli verderben? Seitdem sind wir im Familienblock, wo er aufblüht und nach jedem Heimspiel fragt: “Wann spielt die Alemannia wieder zu Hause?”
An diesem Samstag im Februar 2015 im ausverkauften Tivoli – und unzähligen Geschichten, die ich ihm vom alten ausverkauften Tivoli erzählt hatte – wartet er in der gelben Sitzschale auf den Anpfiff. Mein Sohn starrt auf den Rasen und wiederholt gebetsmühlenartig immer wieder die eine Frage: “Papa, wann geht das Spiel los?” Zu diesem Zeitpunkt dauert es noch 46 Minuten. Und etwa 30 Wiederholungen dieser Frage.
Es ist ein seltsames Gefühl, das mich in dieser knappen Dreiviertelstunde ergreift. Irgendwas zwischen Vorfreude und Stolz. An meinen ersten Tivolibesuch kann ich mich nicht wirklich erinnern. Meine Eltern sind keine Fußballfans, war ich also mit Freunden da? Wer war der Gegner? Wie ging das Spiel aus? Schon vor der Geburt meines Sohnes war mir klar, dass ich die Fakten seines ersten Besuches tief in meinem Gedächtnis archivieren und ihm so lange vorbeten würde, bis sie ihm zu den schwarz-gelben Ohren herauskommen würden.

Alemannia macht wieder Spaß. Was in den letzten Jahren mehr Krampf und Fassungslosigkeit war, ist nun wieder ein sich seit der Rückrunde des vergangenen Jahres permanent steigerndes Erlebnis. Und beinahe fühlt es sich heute manchmal wieder so an wie damals. Da kann ich quatschen so viel ich will, das muss man selbst erleben. Und dieser Tage hat mein Sohn die Gelegenheit dazu, zumindest etwas sehr Ähnliches am Tivoli mitzubekommen: echte Leidenschaft, eine echte Mannschaft und jede Menge echte Selbstironie. Fast zu schön, um wahr zu sein. Gut, dass wir dabei sind.
Das Spiel beginnt, die Spannung im Stadion ist greifbar. Mein Sohn ist, wie immer in solchen Situationen, erstmal in sich gekehrt und konzentriert. Erst im Laufe des Spiels, ungefähr dann, als Jonas Ermes den ersten Schuss der Essener mit den Fingerspitzen über die Latte lenken kann, kann auch mein Sohn seinen Emotionen Luft machen. “Schiri, warum pfeifst Du da?”, “Foul!”, “Super gespielt!” Es macht Spaß, ihm zuzuhören.
Dann der Moment, den ich im Vorfeld des Spiels zigmal im Kopf durchgespielt hatte: “Papa, warum rufen die Aachener Fans was für Essen?” – “Hörste doch, ‘Rot-Weiss Essen, nach Hause schicken und vergessen!’“- “Ach so”, und dann lauter: “Rot-Weiss Essen, nach Hause schicken und vergessen!” Und alle sind glücklich …
Erst recht, als Kevin Behrens das Tor des Tages köpft – der Jubel kennt auch im Familienblock keine Grenzen. “Papa, wenn’s so bleibt, gewinnen wir!” Der Blick eines Kindes, der das laute Denken bei der Erkenntnis, gerade etwas Großartiges zu erleben, immer begleitet … priceless! So werden der ausverkaufte Tivoli in Liga 4, das Traditionsduell mit Rot-Weiss Essen, die Leidenschaft und der Sieg für mich doppelt und dreifach zum Erlebnis. Für meinen Sohn offensichtlich auch.
Die zweite Halbzeit, in der sich die Alemannia steigert und nun ganz klar verdient führt, läuft dann auch wie der beschworene Rausch an uns vorbei. Oder besser: durch uns hindurch. Da ist es, das Déjà-vu. Dass wir am Ende sogar gewinnen und Tabellenführer sind – auch super! Noch besser aber ist, dass mein Sohn jetzt weiß, dass ich nicht nur Blödsinn erzähle, wenn ich von der Alemannia berichte, wie ich sie als Kind flüchtig und seit 1997 richtig kennengelernt habe. “Irgendwas muss da dran sein, wenn man das heute so sieht”, muss er sich denken.
Ich hoffe, dass mein Sohn noch lange von diesem Rekordspiel und der Alemannia erzählt. Bis es uns zu den schwarz-gelben Ohren heraus kommt. Oder bis er mal sein eigenes Bier am Tivoli bestellt.