
Der Versicherungsmarkt für die Hebammenpflichtversicherungen schrumpft. Die Versicherer möchten diesen Berufsstand wegen unüberschaubarer Schadensersatzzahlungen nicht mehr – oder nur noch gegen sehr hohe Zahlungen – versichern. Und das, obwohl die Anzahl der Geburtsschaden nicht zugenommen hat. Die jährlichen Beiträge kann sich kaum noch eine freiberufliche Hebamme leisten, viele haben schon das Handtuch geworfen. Ein ganzer Berufsstand steht auf der Kippe. Und mit ihm seine Leistungen vor, während und nach der Geburt, die nicht zu ersetzen sind.
Die Zahlen sind beeindruckend. 1981 betrug der jährliche Versicherungsbeitrag für Hebammen, die Geburtshilfe leisten, 30,68 Euro, ab dem 1.7.2014 liegt er bei 5091 Euro. Laut Berufsordnung sind freiberuflich tätige Hebammen verpflichtet, eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Prämien in dieser Höhe sind aber kaum bezahlbar – der Geburtshilfe durch Hebammen, inklusive Vor- und Nachsorge, droht das aus.
„Unsere freiberufliche Arbeit ist meist ein Paket aus Vorsorge, Betreuung bei der Geburt und Nachsorge“, sagt Melanie Budde, Hebamme aus Aachen. „Sie umfasst Kurse, Hilfe bei Schwangerschaftsbeschwerden und noch viel mehr.“ Und für alle diese Leistungen bestehe die gesetzliche Verpflichtung, versichert zu sein, „sonst dürfen wir sie nicht anbieten.“
Geringe Schadensmeldungen, hohe Entschädigungen
Die Anzahl der geburtshilflichen Schäden bleibt seit Jahren konstant. Die Meldungen, die beim Deutschen Hebammenverband (DHV) eingehen, liegen jährlich etwa bei 100; nur bei der Hälfte davon kommt es zu Schadenersatzforderungen, und nur ein sehr kleiner Teil davon entpuppt sich als sogenannter Großschaden. Doch genauso konstant sind die Versicherungsbeiträge gestiegen. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) erklärt dazu: „Die Kosten für Geburtsschäden infolge von Behandlungsfehlern sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen“, weshalb es den Versicherern immer schwerer fällt, eine bezahlbare Haftpflichtversicherung anzubieten. Im nächsten Jahr droht der völlige Zusammenbruch des Versicherungsmarkts für Hebammen: Die Nürnberger Versicherung, bisheriger Versicherer der DHV-Mitglieder, zieht sich ab dem 1. Juli 2015 aus dem Geschäft mit der Berufshaftpflichtversicherung für Hebammen zurück.

Und das, obwohl „es nicht mehr Fehler durch freiberufliche Hebammen gibt als früher“, weiß Melanie Budde. So sei etwa die Hausgeburt – durch Studien belegt – immer noch „eine der komplikationslosesten und sichersten Geburtsmöglichkeiten.“ Aber: Von einem Behandlungsfehler in der Geburtshilfe betroffene Kinder haben heute durch den medizinischen Fortschritt eine deutlich höhere Lebenserwartung. Pflege- und Therapiekosten müssen über einen erheblich längeren Zeitraum gezahlt werden. Schmerzensgelder werden mittlerweile ebenfalls viel höher angesetzt: „1999 waren etwa 200 000 Mark, also 100 000 Euro, üblich, inzwischen sind wir bei 250 000 Euro angekommen“, berichtete Bernd Hendges vom Versicherungsmakler Securon, der sich um die DHV-Hebammen kümmert, kürzlich im Kölner Stadtanzeiger. Entsprechend häufiger wird heutzutage geklagt. „Geburtsschäden stellen für die Versicherer ein kaum kalkulierbares Risiko dar“, sagt auch Budde.
Die Konsequenz: Geburtsfabriken
Betroffen sind vor allem die freiberuflichen Hebammen, die Geburtshilfe anbieten. Also Geburtshaus- und Hausgeburtshebammen, aber auch Beleghebammen. Melanie Budde: „Für Kolleginnen, die ausschließlich freiberuflich arbeiten, ist die Geburt das Kerngeschäft. Lässt man dieses nun außen vor, sind die freiberuflichen Hebammen in ihrer Existenz bedroht, da sich der Job dann einfach nicht mehr lohnt.“ Eine freiberufliche Hebamme arbeitet derzeit für einen Stundenlohn von ca. 7,50 Euro.

Auch wenn sich 97 Prozent der Frauen sowieso für eine Geburt in der Klinik entscheiden, es geht nicht nur um die Geburt als solche – das fehlende Angebot des von Melanie Budde angesprochenen „Pakets“ fällt genauso ins Gewicht: Vorsorge, Geburtsbetreuung, Nachsorge. Eine Begleitung unter der Geburt in der Klinik ist zwar durch festangestellte Hebammen auch weiterhin gewährleistet. Ohne die Zusatzleistungen rund um die Schwangerschaft zeichnet sich jedoch ein düsteres Bild ab: aus allen Nähten platzende Arztpraxen, in denen Frauen wegen Sodbrennen, Übelkeit, Milchstau oder Nabelpflege sitzen, allein unterwegs zur Klinik, Geburten in überfüllten Kliniken. Schon jetzt macht das Horrorszenario von anonymen Geburtsfabriken die Runde – bei Familien und medizinischem Personal gleichermaßen.
Politische Lösung muss her
Melanie Budde arbeitete bereits seit 2008 stets zweigleisig, in Festanstellung und freiberuflich. „Bei dieser Entscheidung ging es damals zwar auch um Sicherheit, aber eher aus familiären Gründen. Mit der aktuellen Situation hatte das nichts zu tun“, sagt die Mutter von drei Kindern. Derzeit ist sie in Elternzeit mit ihrem dritten Kind, danach geht sie in ihre unbefristete Festanstellung ins Aachener Klinikum zurück. „Ich freue mich, im Klinikum weiterhin in der Geburtshilfe zu arbeiten! Es wäre mir aber sehr wichtig, die Frauen, Kinder und Familien auch weiter freiberuflich begleiten zu können.“ Nach derzeitigem Stand kann auch sie sich das nicht mehr leisten. „Ich bin zwar nicht existenziell bedroht“, so Budde weiter, „jedoch bin ich Hebamme geworden, um all diese angeführten Möglichkeiten des Berufs auszuüben. Eigentlich möchte ich wieder beides machen: fest und frei arbeiten!“
Hebammen und Verbände fordern eine politische Lösung. „Ich würde es für einen sehr bedenklichen Schritt der Politik in Bezug auf Familien und Kinder halten, wenn sie an dieser Bedrohung des Hebammenberufes und dem damit verbundenen Ausfall der Betreuung der Familien nichts ändern und uns keinen Lösungsvorschlag anbieten würde“, findet etwa Melanie Budde. Und in der Stellungnahme des DHV heißt es: „Es muss eine Haftungsobergrenze festgelegt werden, bis zu der die Hebamme für von ihr verursachte Schäden haftbar gemacht werden kann. Schäden, die darüber hinausgehen, müssen aus einem staatlich finanzierten Haftungsfonds beglichen werden.
Verbände und Hebammen sind zudem selbst aktiv geworden: In Facebookgruppen und Online-Petitionen werben sie für Unterstützung und Bewusstsein. Denn noch hat sich nichts an der Situation geändert – und die Zeit drängt.
Ein sehr ausführlicher und interessanter Artikel! Danke dafür, LG